Wochenglück 2016-10-15 mit Bob Dylan

„Letzter Dylanwitz: Der Nobelpreis für Alte Geschichte geht an Wolfgang Niedeckens BAP für ‚Verdamp lang her‘.“ Thomas Gsella

Da ich nicht Philip Roth bin, tue ich mich leicht damit, dem postfaktischen Nobelpreistreiben etwas abzugewinnen und die Verleihung zum Anlass für ein Revival zu nehmen. Schublade auf, Dylan raus.

Ich hoffe bin guter Dinge, dass Bob Dylan trotz der Auszeichnung vom Donnerstag (Ltrtrnblprs) weiter Liedtexte Musikliteratur verfassen können wird, denn sein Vertrauen in sich selbst ist mindestens so groß wie meine Begeisterung für seine Lebenskunst. Also unermesslich. Insofern beschädigt diese Entscheidung nicht ihn, gut. Aber das Schwedische Kommittee erweckt einmal mehr (nach den Friedensnobelpreisen für Obama und die EU) den Eindruck, mit seiner Auswahl nur Aufmerksamkeit erzeugen zu wollen. Damit schädigen sie nicht nur das Nervenkostüm von, sagen wir mal wieder Philip Roth, sondern auch den Nobelpreis an sich. 

Bob Dylan ist großartig…

Sich mal verweigernd, mal hingebend ist Dylan immer total und dennoch kein Klischee. Er ist revolutionär, ohne zum Revoluzzer zu verkommen, modern im Sinne von zeitloser Avantgarde, er steht für sich – und lässt uns Zuhörern Raum für eigene Gedanken, Abschweifungen.

Es gibt viele Musiker, die ich hören kann ohne hinzuhören – bei ihm geht das nicht. Wenn Dylan aufspielt werde ich ruhig. Er hat eine Stimme, die nicht die eines Musikers zu sein scheint, und dennoch ist. Er singt (?!) Worte, die einen Raum aufreißen zwischen dem was er näselt und nuschelt (!) und dem was man hört. Man muss so sehr hinhören, dass man in sein eigens Inneres dringt. (Vielleicht ruht dort das eigentliche Geheimnis seines Charismas, wie durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, wie durch eine Tür in einem genäselten Ton). In diesem inneren Raum liegen die Fragen bereit, die sich dann stellen kann, wer mag, zum Beispiel:

  • Müssen wir wirklich jemandem dienen? Und wenn ja, wem, warum und ist das gut so, wie es gerade ist?
  • Wer sind heute die rollenden Steine, wie viel Hoffahrt und Hochmut sind in meinem Leben, dulde ich sie, und falls nein, wie bekomme ich sie hinaus? Wieviele Vorwürfe verträgt ein Mensch?
  • Wer gibt mir Zuflucht vor den Stürmen, was sind Stürme?, für wen bin ich selbst Schützende? Was ist Schutz?
  • Und wieviele Pflanzen müssen auf einem Stückchen Land wachsen, damit man es einen Garten nennen kannst? Diese Antwort wird derzeit von einem kalten Herbstwind hinweg gefegt.

… Ehren wert…

Er hat sich geweigert als „Stimme einer Generation“oder „Weltgewissen“ vereinnahmt zu werden, der Grammy für sein Lebenswerk 1991 hat ihn nicht davon abgehalten Neues zu erschaffen (und zwar wirklich Neues sogar für das meistausgelaugteste und schäbigste Genre der Musik, den „Christmas Carol“). Auch die Verleihung der US-Friedensmedaille – es gibt Bilder auf denen es aussieht als legte Obama ihm ein Halsband um -, hat ihn nicht gestoppt. Und hat uns, seine ZuhörerInnen, nicht davon abgehalten in seinen Liedern uns selbst mit unseren Fragen zu finden. (Vielleicht ist das sein Zauber, dass er so zeitlose Musikhäfen schafft, in die jeder mit seinem eigenen Schiff einfahren kann, bei Sturm und Flaute, mit dem Tanker und der Schaluppe, mit der Beziehungskrise genauso wie mit dem Vietnamkrieg.)

Jeder Mensch hat in seinem Kopf Schubladen, in die er die Menschen, Erfahrungen und Dinge einsortiert, die ihn umgeben. Wir unterscheiden uns allein in der Zahl der Schubladen und in der Bereitschaft sie zu öffnen und ihren Inhalt neu zu sortieren. Dylan, der von sich mal sagte, dass er das Chaos akzeptiere, scheint mir besonders viele Schubladen zu haben, und eine Begabung zur stetigen Neuordnung. Glücklicherweise wurden Mikrofon und Verstärker erfunden bevor er seine „Sanges“karriere begonnen hat, wir hätten sonst nie von ihm erfahren, sondern müssten noch immer Stimmbandakrobaten zuhören, die ihr hohes C auf Hochglanz zu polieren verstehen (was nicht heißt, dass ich Fritz Wunderlich nicht grandios finden würde und auch nicht heißt, dass die E-Musik nur Hörenswertes produziert, siehe Helene Fischer.)

… und auch prägend…

Am meisten imponiert mir an Dylan

nicht die Musik,

nicht die Texte,

sondern dass er ständig tourt, immer Konzerte spielt, nicht ruht und doch nicht ruhelos zu sein scheint. Irgendwo in sich drin scheint er sich gefunden zu haben. Oder zumindest einen Weg zu sich selbst. Und seine Lieder sind wie Wegweiser, nicht von der Sorte „A 6 von Nürnberg nach Prag“, sondern eher „vielleicht mal in den Osten schauen?“.

Meine liebsten Dylan-Lieder sind diese:

Thunder on the mountain (gesungen von Bob Dylan)

Make you feel my love (gesungen von Adele)

Shelter from the storm (gesungen von Vaughn Ahrens)

Rolling Stone (gesungen von Gabriel Mayers)

… ich höre mit dem Aufzählen nur auf, damit ich schneller wieder Musikhören gehen kann.

… aber den Literatur-Nobelpreis hätten sie lieber T. C. Boyle gegeben.

Hat er den Literaturpreis verdient? Ich finde nein. Bei aller Bewunderung hätte ich ihn ihm nicht verliehen. Genauso wenig wie er den Pulitzer-Preis von mir bekommen hätte, denn ich finde Text und Musik gehören zusammen betrachtet, die Texte allein sind unvollständig.

Hätten die Schweden die Kategorie des „Singer-Songwriters“ erfunden, oder in Anlehnung an die Wegemetapher die Kategorie des „Ultimativen Kartographen“, hätten sie noch mehr Aufmerksamkeit generieren können. Mir scheint darum geht’s eigentlich, aber mit dieser Art von postfaktischer Aufmerksamkeitserzeugung wird der Preis zur Farce. Mal sehen, welchen Spaß sie sich nächstes Jahr ausdenken. Mein ernsthafter Vorschlag: Ich bin für T. C. Boyle. Der ist kreativ und vielseitig und gar nicht aufgeblasen wie andere Kandidaten. Philip Roth zum Beispiel fände ich öde.

Trotzdem freue ich mich über den Preis. Weil sich so viele darüber freuen, die ich schätze. Wolfgang Niedecken zum Beispiel. Und Heinz Rudolf Kunze. Hannes Wader auch. Und so ist er, der Dylan, öffnet Schubladen.

Viele Grüße aus dem Garten

Maria

in Gesellschaft des Kassettenrekorders

P.S.: Verlinkt mit FräuleinOrdnung.

 

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Sunnys Haus sagt:

    Oh herrlich, vielen Dank dafür ! Ich bin dem link zu Adele gefolgt und kam darauf wieder auf das Carpool-Karaoke Video mit ihr. Tränen hab ich gelacht…

    Liebe Grüße und einen schönen Tag
    Birgit

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    1. Maria sagt:

      Danke! Das ist grandios!!!

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